Di. Apr 30th, 2024

Unsere Redakteurin Sylvi durfte letzte Woche ein ausführliches und interessantes Gespräch mit Schlagzeuger und Texter Lasterbalk von Saltatio Mortis führen. Dabei ging es um die Arbeit am neuen Album, Bedeutung und Entstehungsgeschichte verschiedener Songs, aber auch um Freiheitsgedanken, Kunst und Literatur.


Metal Madness: Erst einmal vielen lieben Dank, dass du dir die Zeit nimmst für das Interview heute.

Lasterbalk: Ja, gerne.

Metal Madness: Wir reden ja heute aus einem guten Grund miteinander. Am 09. Oktober kommt euer neues Album „Für immer frei“ auf den Markt. Und um mal ganz locker anzufangen: Wie ist denn die Arbeit am aktuellen Album gelaufen?

Lasterbalk: Es war auf jeden Fall ein anstrengendes Album. Es gibt immer mal wieder Alben, die laufen schon fast „so nebenher“ mit. Und es gibt es Alben, wo viel Redebedarf ist, wo viel ausprobiert wird, wo auch viele Ideen das zweite, dritte, vierte mal angefasst werden. Und das war eher ein Album, wo viel Redebedarf bestand. Viele unserer besten Alben aus der Vergangenheit waren Alben, die in der Produktion schwierig waren, oder die viel Diskussionsbedarf hatten. Und insofern hab ich eigentlich ein gutes Gefühl, dass das auch ein gutes Album wird.

Metal Madness: Das klingt doch gut. Thema Produktion, du hast es gerade schon angeschnitten: Seid ihr denn beim alt-bewährten Produktionsverfahren geblieben oder habt ihr Änderungen in der Produktion vorgenommen?

Lasterbalk: Im Wesentlichen haben wir es genauso produziert, wie bei der „Brot und Spiele“ auch. Also mit dem gleichen Team, an den gleichen Orten. Da hat sich insofern nicht viel geändert. Außer dass wir ein bisschen mehr Feedbackschleifen drin hatten. Wir haben uns also mehr Zeit genommen, um die Zwischenstände nochmal kritisch zu hinterfragen und teilweise auch nochmal komplett neu anzugehen. Wir haben uns also mit dem Album sehr „gechallenged“, wie man so schön sagt.

Metal Madness: Der Albumtitel lautet „Für immer frei“. Wie ist der Titel entstanden?

Lasterbalk: Wir schreiben ja prinzipiell keine Konzeptalben, wir schreiben Songs und wir denken auch erst mal nur in Songs. Und dann kommt in der Regel immer der Punkt, an dem wir 9  bis 10 Songs fertig haben, an dem wir sagen „ok, das sind jetzt Songs, die auf ´ne Platte kommen, wenn wir jetzt eine machen würden“. Und die hören wir uns an und fragen uns: „fühlt sich das jetzt nach ´ner Platte an? Funktioniert das für uns? Ist das schon ´ne Platte?“ Dann fragen wir uns natürlich auch „Was ist gut? Was ist schlecht? Was ist zu wenig? Was ist zu viel?“ Und beim Durchhören ist mir dann das erste mal klar geworden, dass alle Songs direkt oder indirekt mit Freiheit oder der Freiheitsproblematik zu tun haben.

Metal Madness: Und dann hat sich der Titel quasi von selbst ergeben?

Lasterbalk: Genau. Also da hatten wir wirklich unfreiwillig ´n roten Faden geschrieben, den man, wenn man ihn einmal gesehen hat, gar nicht mehr los wird. Und die Songs, die danach kamen, haben wir dann natürlich ein Stück weit so ausgewählt, dass die dann auch noch rein passen.

Metal Madness: Würdest du denn jetzt, wo das Album fertig ist, im Nachhinein, sagen, dass der Titel eure Lebenseinstellung oder euch als Musiker charakteristisch repräsentiert?

Lasterbalk: Jaaa… ich denke, wenn man das gut bürgerliche Leben eintauscht, um auf die Bühne zu gehen, dann spielt in der Regel Freiheit immer eine Rolle, ganz klar. Ich denke aber, dass wir gerade aktuell in einer sehr schwierigen und auch sehr bedeutsamen Zeit leben, wenn es um das Thema Freiheit oder Freiheitskonzepte geht. Ich glaube wir haben noch nie unfreiwillig ein so aktuelles Album geschrieben, wie gerade. Also Corona illustriert tatsächlich sehr deutlich die Probleme von Freiheit. Auf der einen Seite lebt jeder für maximale, individuelle Freiheit und gleichermaßen ist es sinnvoll zum Schutz von anderen einen Mundschutz zu tragen oder eben Abstandsregeln zu befolgen. Das heißt, diese ganzen Regeln sind ja Einschränkungen der persönlichen Freiheit, aber sorgen dafür, dass andere ihre Freiheit, nämlich gesund leben zu können, behalten. Also dieser Konflikt, der da drin steckt, ist einer der wesentlichen Konflikte, die diesem Freiheitsbegriff inhärent sind. Wo beginnt meine Freiheit und wo endet sie? Und insofern passen die Themen, die wir in den einzelnen Songs aufgreifen, auch in die heutige Zeit. Dann kommt natürlich noch der Hang zu autoritären Figuren in der Politik hinzu. Das ist so die zweite große Entwicklung, die ich eigentlich mit noch größerer Sorge verfolge, als die Corona Debatten. Warum sind Diktatoren plötzlich wieder salonfähig? Wie kommt es, dass wir einen US Präsidenten haben, der meines Erachtens ein lupenreiner Faschist ist und von 40% gewählt wird? Das sind die Probleme und ich glaube das kann man im Prinzip auch über Freiheitsgedanken beantworten. Wie viel Freiheit halten wir eigentlich aus? Also jeder für sich? Ist es so, dass, wenn man zu viel Freiheit hat, zu viel Freiheit zugemutet bekommt, dass man dann automatisch nach dem starken Vater ruft? Und wer ruft eigentlich danach? Und wer sagt `ok, ich bin froh, dass ich die Freiheit habe´ und trägt die Konsequenzen der Freiheit? Also das sind ja gerade sehr, sehr aktuelle, gesellschaftliche Debatten, die da gerade verhandelt werden und auch neu verhandelt werden. Deshalb glaub ich, dass das Album eigentlich zu einer ganz guten Zeit kommt.

Metal Madness: Das sind gute Gedankengänge. Wenn wir auf eurem Album den musikalischen Stil betrachten, ist es ja sehr, sehr bunt geworden, sehr vielfältig und es lässt sich dieses mal nicht ganz so leicht in ein bestimmtes Genre stecken. Hattet ihr von Anfang an geplant euch musikalisch in neue Territorien vorzuwagen oder war das eher ein Prozess, der sich ergeben hat?

Lasterbalk: Ich würde ja gerne sagen, dass wir das alles planen und vorher durchdenken, aber das ist einfach nicht der Fall. Tatsächlich steckt in unserer DNA Experimentierfreudigkeit, das offen sein für Neues und auch die Lust am Neuen. Das hat uns letztendlich schon von Kindheitstagen an geprägt. Und ich glaube, dass die komplett neuen Genrebrüche, die jetzt auf dem Album drauf sind, nicht geplant entstehen. Zum Beispiel „Mittelfinger“, sozusagen unser erster echter Crossover Song, ist vom Text und von der Urkompositionsidee her ein lupenreiner Punksong gewesen. Und den haben wir praktisch erst im Studio, auf Grund der Idee von Luzi, als Crossover gedacht und dann auch nochmal komplett umgeschrieben, weil wir zum Beispiel festgestellt haben, dass wir viel mehr Strophentext brauchen, damit wir die Art Gesang machen können und so weiter. Und dann hatten wir eine Demo erarbeitet, haben uns die angeschaut und gedacht „Hui, das ist schon krass, können wir das machen?“ und dann war klar: „klar machen wir das!“. Also haben wir auch da wieder mehrere Runden gedreht, weil wir, wenn wir es machen, gut machen wollen. Und so kamen dann auch die Gäste ins Spiel. So funktioniert das bei uns eigentlich. Die entstehen dann letztendlich. Das sind auch die Tage, an die man sich zurück erinnert. Also wenn ich jetzt die Augen zumach, dann weiß ich noch genau, wie eins ins andere kam und ein paar Stunden später war die Grundidee da. Und dann muss man halt gucken „ist es gut? Ist es gut genug? Oder wollen wir´s halt gar nicht machen, weil´s uns nicht gefällt?“

Metal Madness: Also doch mehr ein Prozess. Ihr habt mit Swiss & Die Andern und Henning Wehland von den H-Blockx zusammen an dem Song gearbeitet. Wie genau kam es zu der Zusammenarbeit?

Lasterbalk: Also, wie gesagt, der Song an sich war fertig. Im Prinzip in der Version, wie er auch jetzt auch in der aktuellen Metalhammer Beilage erschienen ist. Und dann haben wir in einer der Review Runden gesagt, dass es sich anbieten würde, den Song noch einmal mit Gästen zu machen. Weil das ja nicht unser Homecraft ist, die Art von Musik. Also gerade, wenn man musikalisch seine Komfortzone verlässt, ist es natürlich schön, wenn man mit jemandem zusammen arbeitet, dessen Homecraft das ist.  Und dann passierten zwei Dinge gleichzeitig. Ich hatte mich wenige Wochen vorher in Swiss eingehört, den hatte ich vorher gar nicht auf´m Radar gehabt und hab dann gesagt: „Ich find den cool. Das würde passen, auch von der Attitüde her.“ Also haben wir den einfach angerufen und gefragt, ob er sich das vorstellen kann. Swiss ist auch super offen und hat da überhaupt keine Berührungsängste. Und dann kam raus, dass er in seiner Kindheit großer Ritterfan war, sodass wir auch gleich ´n Aufhänger hatten. Am gleichen Tag war Henning Wehland im anderen Studio über´n Hof und hat für sein Soloprojekt was aufgenommen. Und dann war´s so der Klassiker, an der Kaffeemaschine. Da machte es klick: „Hey, wir haben jetzt Swiss, der die neue Generation des Crossovers ist und wir haben den Henning von den H-Blockx, der sozusagen der Erfinders des Crossovers ist, oder das zumindest in Deutschland ganz massiv geprägt hat.“ Also haben wir uns überlegt, dass es natürlich geil wäre, wenn wir die beiden hätten. Dann haben wir Henning gefragt, ob er mal kurz rüber kommt, um sich den Song anzuhören und dann lief das.

Metal Madness: Eine eurer ausgekoppelten Singles war „Loki“. Der Song befasst sich, wie der Titel ja auch schon sagt, mit dem Gott „Loki“ aus der nordischen Mythologie. In der Vergangenheit hattet ihr ja auch schon Songs über Gottheiten aus der nordischen Mythologie geschrieben. Warum fiel die Wahl dieses mal auf Loki?

Lasterbalk: Tatsächlich hab ich da meine kleine private Trilogie zu Ende gebracht, die ich schon seit 2006 mit mir rum trage. Es gibt ja in der griechischen Mythologie die Figur des Prometheus. Das ist der Lichtbringer, der die Göttergesetze missachtet, dafür auch schwer gestraft wird und den Menschen praktisch das Feuer und die Erkenntnis bringt. Das heißt, wenn man das jetzt aus der Sicht von Zeus sieht, ist das praktisch der Rebell, der Unruhestifter. Dann gibt es in der christlichen Mythologie die Figuren von Satan oder Luzifer, die im Prinzip gefallene Engel darstellen und auch gegen die göttliche Ordnung rebellieren und letztendlich ihren Menschheitsbezug nach vorne stellen. Und dann gibt es Loki, der zwar etwas anders gelagert ist, aber letztlich auch der göttliche Unruhestifter, das Chaos, der Freche, aber auch der Menschenfreund, ist. Und ich sehe in der Grundanlage dieser Figuren Ähnlichkeiten. Auch wenn sie natürlich anders ausgestaltet sind und in anderen Geschichten auftauchen, ist das für mich die Lichtbringer Trilogie. Und die hab ich dann mit Loki zu Ende bringen können. Also für mich war völlig klar, dass Loki irgendwann an der Reihe ist. Der Song hat sich aber erst entwickelt, weil die Uridee eigentlich war ein Lied über Ragnarök zu machen. Einfach weil die Geschichte von Ragnarök sehr, sehr schön ist. Ich finde das krass, weil ich glaube, dass es wenige Geschichten über Kataklysmen gibt, die so dezidiert, so sequenziell abfolgend, detailliert beschrieben sind, wo einfach klar ist `das passiert aus dem Grund, dann passiert das und dann das, dann das und dann geht´s von vorne los´. Ich finde Ragnarök immer noch eine wunderschöne Geschichte, aber irgendwie ist mir in dem Erstentwurf des Textes nicht gelungen, die Faszination, die ich an diesem Thema habe, in 2 ½ Strophen und einen Refrain  zu kriegen. Und dann hat die Band gesagt, dass das Thema gut ist, aber noch nicht catched. Letztendlich ist Loki ja die zentrale Figur von Ragnarök und – wenn man so will – der Antagonist zu Heimdall. Den Heimdall hatte ich gerade und als ich dann auf dem Gedankenkarussell war, da war klar: dann heißt er Loki. Und dann kam alles von allein.

Metal Madness: Und er passt ja auch ganz hervorragend in das Album.

Lasterbalk:  Ja, genau. Es ist ja jetzt auch seine Geschichte, von Lokis persönlicher Befreiung, die das Ende der Welt einleitet. Das ist natürlich jetzt in so ´nem Freiheitskontext auch eine wunderschöne Geschichte.

Metal Madness: Hast du dich denn schon immer für die nordische Mythologie interessiert oder kam das Interesse erst später mit der Musik?

Lasterbalk: Nein, nein. Lange bevor ich Musik gemacht habe, fand ich Geschichten, eigentlich alle Arten von Geschichten, großartig. Und da bin ich auch nicht sonderlich festgelegt auf einen Sagenkreis oder einen Geschichtenkreis. Die nordischen habe ich relativ spät erst vor meine Flinte gekriegt, warum auch immer. Mittlerweile mag ich sie deutlich lieber als die Griechen oder die Römer.

Metal Madness: Über welchen Song ich gerne noch mit dir sprechen würde ist „Seitdem du weg bist“. Der Song beginnt sehr spielerisch und nimmt dann in der dritten Strophe doch noch eine Wendung zu einem deutlich ernsteren Thema. Welche Geschichte steckt hinter diesem Song und wie kam dir Idee so einen Text zu schreiben?

Lasterbalk: Freut mich. Ich mag den auch gerne und der hat auch eine sehr wechselvolle Geschichte hinter sich. Wie gesagt, die Texte sind ja alle, so gut wie immer, von mir, und in diesem Fall war es tatsächlich so, dass die Urtextidee von Till stammt. Allerdings war es da ein reines Trennungslied, ganz klassisch, was der Refrain ja auch suggeriert. Und dadurch, dass ich seit 20 Jahren der Texter bin, liegt mein Augenmerk ganz viel auf den Texten. Und wenn dann Textideen kommen, bin ich ziemlich schnell dabei zu sagen „Das stimmt hier nicht. Das find´ ich nicht gut. Hier ist ´s nicht schlüssig und so weiter“. Und im Zuge dieser Diskussion fiel dann irgendwann der Satz, in dem ich sagte: „Das ist so Standard, das ist so erwartbar, da passt einfach alles so ineinander.“ Und dann kam irgendwoher, ich weiß nicht mehr genau von wem: „Was sind denn mögliche Trennungen, die nicht mit Mann und Frau zu tun haben?“. Und dann fiel relativ schnell der Groschen. Dann sagte ich: „Mega Idee, ich glaub Frodo war saufroh als er den Ring los wurde“ und ab dem Moment war´s eigentlich relativ cool. Und dann hab ich an einem Nachmittag 10 Strophen oder so angeboten, einfach aus verschiedenen Sagenkreisen und Ideen. Wo sind eigentlich die klassischen Trennungsgeschichten, die einfach anders geframed sind? Und dann haben wir einen sehr, sehr spaßigen Nachmittag gehabt, wo wir uns alle weg gelacht haben und dann haben wir uns irgendwann für Star Wars und Herr der Ringe entschieden. Da war eigentlich schon klar, dass das so´n bisschen ein Spaß-Punk Song wird. Und irgendwann, als wir in Bremen im Pier auf Tour waren, dachte ich mir, dass da eigentlich immer noch so´n Twist fehlt. Jetzt ist er schon so witzig und twistreich und dann dachte ich mir warum nicht!? Dann kam dieses „Hallo Mensch hier spricht die Erde“. Und dann hab ich gedacht, dass das eigentlich auch ´ne geile Trennungsgeschichte ist. Also bin ich zum Frühstück rein gelaufen und hab gesagt „Hey Freunde, was haltet ihr denn davon!?“ Hab das halt vorgelesen und dann kam „Ja, geil“. Danach haben wir die Bridge gemacht und dann war der Song fertig.

Metal Madness: Dann habt ihr auf eurem Album noch den Song „Keiner von Millionen“. Da erzählt der Protagonist seine Geschichte als Querdenker und eben nicht als Mitläufer. Sind das deiner Meinung nach die Menschen, die diese Welt braucht, oder welche Message genau steckt hinter dem Text?

Lasterbalk: Also ich bin bekennender Nonkonformist. Seit meiner Geburt, wie meine Mutter behauptet. In so fern bin ich da sicherlich parteiisch, aber es gibt auch ein schönes Buch von Adam Grant „Nonkonformisten“, der das Thema schön aufgreift, wer Gesellschaften, Firmen und Ideen weiterbringt. Und das sind eben nicht die konformen, das sind die nonkonformen. Und klar, wie soll sich so´n System weiterentwickeln, wenn man nicht bereit ist außerhalb des Systems zu denken? In so fern, ja, es ist sicherlich meine Geschichte als Don Quichotte, der sicherlich schon viele Windmühlen beritten hat, und es ist auf der anderen Seite aber auch die tiefe Wurzel der Überzeugung, dass es viel mehr Nonkonformisten braucht und viel weniger systemkonform Denkende.

Metal Madness: Factus De Materia: Wir gehen mal davon aus, dass nicht alle eurer Fans perfekt Latein sprechen. Worum geht´s in dem Song?

Lasterbalk: Letztendlich ist es ´n Song mit sehr, sehr starken Bildern vom Blatt, was zum Boden fällt, von Erde zu Asche, von Endlichkeit und vom Leben. So würde ich es vielleicht ganz grob zusammenfassen.

Metal Madness: „Neustart für den Sommer“ ist ja ein Song zum Thema Lockdown wie aus dem Buche. Ist der dieser Song tatsächlich im Lockdown entstanden?

Lasterbalk: Ja, der ist tatsächlich online entstanden. Es ist der erste Song, wo wir uns alle acht zu keiner Zeit physisch getroffen haben.

Metal Madness: Hattet ihr den Song von Anfang an für das Album vorgesehen?

Lasterbalk: Nein, also tatsächlich haben wir den nur gemacht als Lebenszeichen und Mutmacher in der Zeit der Pandemie und haben uns teilweise geärgert, dass wir solange gebraucht haben, aber letztendlich mussten wir auch erst technische Lösungen haben, um den Song überhaupt schreiben und ausprobieren zu können. Und das hat tatsächlich mehr Zeit gebraucht, als der Song an sich. Das war für mich persönlich ´n bisschen nervig, weil ich diesen Song rausbringen wollte. Nachdem er raus kam, haben wir die Platte fertig gemacht und darüber diskutiert, dass wir jetzt diese Einzelveröffentlichung haben, aber dass es auch bestimmt Leute gibt, die den gerne auf Platte hören würden und dann haben wir den praktisch integriert.

Metal Madness: War auch eine gute Entscheidung. Der passt ja auch thematisch bombig ins Album.

Lasterbalk: Ja.

Metal Madness: Dann eine ganze allgemeine Frage: Nach welchen Kriterien geht ihr vor, wenn ihr entscheidet welche Songs als Erste als Single ausgekoppelt werden?

Lasterbalk: Das ist eine gute Frage. Ich würde sagen das hat was Kristallkugeln, römischen Auguren und Sterndeutung zu tun. Also man hat´s schon beim Schreiben der Songs immer im Gefühl, welche Songs Singlepotential haben und welche nicht. Und witzigerweise ist das sehr, sehr oft deckungsgleich. Also wir als Band haben ein Gefühl, der Produzent hat ´n Gefühl, die Plattenfirma hat ´n Gefühl, das Management hat ´n Gefühl, Techniker haben ´n Gefühl… Es gibt ja so verschiedene Trabantengruppen um die Band herum, wo jeder seine Sicht hat und die Schnittmenge der Songs, wo alle sagen, die haben Singlepotential, ist in der Regel relativ groß. Also es ist ganz selten, dass wir sagen „Das ist ´ne Single“ und der Rest der Welt schüttelt den Kopf und sagt „Leute, hört auf zu rauchen“. Also tatsächlich ist es auch so, dass wir gar nicht in Single- und Albumsongs denken, sondern wir versuchen eigentlich immer so lange zu schreiben, bis wir gefühlt ein Album voller Singles haben. Und dann geht der nächste Auswahlprozess los: welcher davon ist jetzt doch der Beste? Außerdem hat´s immer ´n bisschen was damit zu tun, was man gerade fühlt? Was passt? Wie gesagt, es hat sehr viel mit Kaffeesatz lesen zu tun und sehr wenig mit Wissenschaft.

Metal Madness: Bei euch scheint es generell eher so sein, dass die Intuition viel mitspielt. Beim Schreiben, beim Komponieren…?

Lasterbalk: Ja, es ist beides. Also ich glaube, dass die Vorstellung vom Musiker, der da sitzt und wartet, dass die Musen einen küssen, weit verbreitet ist, aber natürlich auch grottenfalsch. Also ich würde sagen es ist 5% Inspiration und 95% Transpiration.

Metal Madness: Eure letzten Videopremieren habt ihr ja immer zusammen mit euren Fans auf Youtube gefeiert. Ihr wart im Chat vertreten, habt Fragen beantwortet und seid ja generell immer sehr weit vorne mit dabei, wenn es um die Kommunikation mit euren Fans geht. Wie kam die Idee auf eure Fans bei den Videopremieren mit einzubinden?

Lasterbalk: Das liegt einfach an YouTube. Also YouTube bietet dieses Premierenformat an und als wir das gesehen haben, haben wir gedacht „Wow, geil, das passt zu uns, das wollen wir machen“.

Metal Madness: Dann noch kurz zum Thema Albumcover. Das Bild ist ja sehr, sehr vielsagend und bietet wahnsinnig viel Interpretationsspielraum. Was steckt denn genau hinter dem schönen, weißen, mit Technik geschmückten Vogel?

Lasterbalk: Da würde ich die Frage gerne zurück geben: Was siehst du in ihm?

Metal Madness: Ich sehe zum Einen dieses Bild, was Freiheit verkörpert, mit dem Himmel und den Wolken im Hintergrund. Himmel ist ja ein Symbol für grenzenlose Freiheit. Das auf der einen Seite, auf der anderen Seite sitzt der Vogel in Händen und da ist die Frage: halten die Hände ihn fest oder lassen sie ihn frei? Das ist so eine zweischneidige Klinge.

Lasterbalk: Also ich hab jetzt ganz bewusst mit einer Gegenfrage geantwortet, weil es hier um Kunst geht. Zwar nicht um musische Kunst, aber um bildende Kunst, in dem Fall. Ich werde auch ganz häufig gefragt „was genau heißt überhaupt der Text xyz“ und ich glaube Texte und Bilder sind Projektionsflächen für den Nutzer von Kunst, den Benutzer von Kunst. Und es ist weniger wichtig, was wir Künstler uns dabei denken, als das, was du als Rezipient dabei empfindest und denkst. Es ist ja im Prinzip ein Dialog und ich finde es falsch, wenn man das immer nur auf die eine Seite der Erschaffenden reduziert. Ich kann dir nur sagen, was ich alles darin sehe und es ist ja auch ein Prozess, bis so ein Bild fertig ist. Ich finde es zum Beispiel sehr spannend, dass es Frauenhände sind, ich finde es sehr spannend, dass sie gefesselt ist, also eben auch die Symbolik, dass die Gleichberechtigung noch nicht da ist, wo sie sein muss. Dann mag ich die Symbolik mit den Grabkreuzen auf den Nägeln und den Nationalflaggen auf der anderen Hand. Ich finde die Anleihen aus der Cybertechnologie sehr wichtig, also sowohl die Datenleiterblutbahnen, im Prinzip sind Daten ja wichtiger als Blut heutzutage und dann generell die Frage: Ist Freiheit auch ein Algorythmus? Ist Freiheit Chemie? Dann natürlich auch die Freiheitstaube, wie gefläddert und technologisch sie ist, wie sie unterdrückt wird, wie sie festgehalten wird, wie aber auch Teile sie freilassen wollen. Also das wären jetzt alles mal so spontane Assoziationen dazu.

Metal Madness: Ja klar, das muss letzten Endes ja auch jeder für sich selber entscheiden, was man in dem Bild sieht. Das lässt sich ja gar nicht objektiv festlegen.

Lasterbalk: Aber ich kann nur jedem empfehlen sich Zeit mit dem Cover zu nehmen, weil es zur Platte und zur Musik passt und es kommen Themen drin vor. Also wie gesagt, allein die Fingernägel könnte man schon als Anspielung auf „Linien im Sand“ sehen, zum Beispiel. Und da gibt´s viel zu entdecken, wenn man sich drauf einlässt. In meiner Jugend war es noch so, dass man sich Schallplatten zusammen angehört hat. Ich weiß noch, als die Helden meiner Jugend ihre Platten veröffentlicht haben, da traf man sich wirklich am Plattenspieler und hat die zusammen angehört. Und natürlich hatte jeder die Schallplatte in der Hand und man hat zusammen die Musik gehört und sich auch das Artwork angeschaut. Und in dem speziellen Fall wünsche ich mir fast wieder, dass das ´n bisschen zurück kommt, weil ich finde, dass gerade bei der Platte Artwork und Idee der Songs wundervoll Hand in Hand gehen.

Metal Madness: Den Bezug zum Album erkennt man auch sofort, sobald man das Album einmal gehört hat. Dann kommen wir zum letzten Thema, noch mal eben was ganz lockeres. Du bist ja ambitionierter Leser. Welche literarischen Werke zählen zu deinen Favoriten? Und möchtest du an dieser Stelle eine Buchempfehlung aussprechen?

Lasterbalk: (lacht) Ich hab bei meinem Umzug, glaub ich, lockere 20qm Bücher verschenkt und hab jetzt immer noch 30 Regalmeter Bücher bei mir stehen und sich da auf ein Buch zu verdichten finde ich immer furchtbar schwierig. Also ich hasse diese Poesiealbumfragen nach dem Lieblingsbuch, weil ich immer sage „Es gibt nicht nur ein Lieblingsbuch“…. Schwierig… also, was ich seit langem als eines der besten Sachbücher erachte, ist „Homodeus“ von Harari. Es ist natürlich das mittlere einer Trilogie, also wer´s wirklich ernst meint, sollte alle drei davon lesen. Aber Homodeus ist für mich das Herzstück und das Wichtige. Es geht letztendlich ganz schlicht darum, wohin entwickelt sich die Menschheit ab jetzt? Und warum? Und da sind sehr, sehr kluge Gedankengänge drin. Das ist sehr gut recherchiert und unterhaltsam geschrieben, obwohl es ein Sachbuch ist. Das finde ich auf jeden Fall, wenn du nach Tipps und Tricks fragst, sehr, sehr gut. Vielleicht aus der Belletristik noch eins: „Der Gesang der Flusskrebse“ von Owens. Fand ich sehr, sehr gut.  Das ist eine Geschichte von einem Mädchen, das in den Sümpfen von North Carolina im Prinzip ohne Eltern aufwächst, sich durchschlägt und es ist eine Mischung aus Naturgeschichte, Comin´ on Age, Crimestory und Lovestory. Die ersten Kapitel haben mich zum Weinen gebracht, das war echt… puuhh… also im ersten Kapitel beschreibt sie als sechsjähriges Mädchen, wie ihre Mutter sie verlässt. Und sie spielt mit der Perspektive und der Sprache ganz grandios. Also ich muss wirklich sagen, gefällt mir ultra gut… was hätte ich denn noch im Angebot? …Ja, vielleicht auch, weil wir gerade über Sagen und Legenden gesprochen haben, Neil Geiman. Der hat ein Buch geschrieben „Nordische Mythen und Sagen“ mit dem Ansatz Geschichten so zu schreiben, dass man sie als moderner Mensch lesen kann. Ich hab mich da durch die eine oder andere übersetzte Originalliteratur gequält, in der Tat, aber es ist nicht so, dass ich mich abends hinsetze und genussvoll die Edda rezitiere. Es mag Leute geben, die das tun, aber ich gehör nicht dazu. Und deshalb mag ich den grundsätzlichen Ansatz einen alten Stoff, der ja einfach voll von guten Geschichten ist, einfach neu zu erzählen. Und das mit dem Respekt eben nicht zu verändern, sondern zu sagen „ich möchte bewahren, ich möchte nur die Form ändern“. Und das hat Geiman sehr, sehr gut gemacht und deshalb finde ich, dass das ein guter Einstieg in dieses ganze nordische Mythologie Konstrukt ist. Das waren jetzt drei… also wenn du mich jetzt reden lässt, dann sind wir in zwei Stunden noch hier.

Metal Madness: Ja, ich dachte mir schon, dass man das nicht so einfach runter brechen kann. Aber das war ja schon mal ein guter Einblick in das, was du so liest und was dich so interessiert.

Lasterbalk: Aber das ist auch wirklich nur ein kleiner Ausschnitt. Also ich lese wirklich alles. Ja, vielleicht könnte man noch Jim Butcher, die Dresden Files erwähnen, das ist dann eher Popcornliteratur, aber auch wirklich gut gemacht. Das ist Urban Fantasy. Also es ist nicht immer nur hochtrabend. Guter Mann, gute Geschichten. Sind mittlerweile 16 oder 17 Bücher, also da hat man auch was zu tun.

Metal Madness: Dann wird´s nicht langweilig. Klasse, dann bedanke ich mich ganz, ganz herzlich für das Interview und dass du dir die Zeit genommen hast unsere Fragen so intensiv zu beantworten.

Lasterbalk: Gern geschehen.

Von Sylvi

Mit Musik verheiratet seit 1988. Favourite Genres: Heavy Metal, Alternative Metal, Neue Deutsche Härte